Waldorfpädagogik
Die erste Waldorfschule
1919 gründeten Rudolf Steiner und Emil Molt, Besitzer der damaligen Waldorf Astoria Zigarettenfabrik, in Stuttgart für die Arbeiterkinder die erste Waldorfschule. Erstmals wurden in dieser Schule Prinzipien sozialer Gerechtigkeit im Bildungswesen verwirklicht. Alle Kinder – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, ihrer Begabung oder ihrem angestrebten Beruf – wurden gemeinsam unterrichtet. Erstmals wurde das Prinzip der Auslese durch eine Pädagogik der Förderung ersetzt.
Auch heute noch Vorreiter
Seit der Gründung der ersten Waldorfschule ist es selbstverständlich, dass …
- Jungen und Mädchen gemeinsam den Unterricht besuchen
- zwei Fremdsprachen bereits ab der ersten Klasse gelehrt werden
- Epochenunterricht als Blockunterricht stattfindet
- die Klasse bis zum Schulabschluss zusammen bleibt
- es kein Sitzenbleiben gibt
- der Unterricht künstlerisch gestaltet wird
- Zeugnisse statt durch Noten durch ausführliche Texteinschätzungen gegeben werden
- die allgemeine mit der beruflichen Bildung verbunden wird
- die Schule sich autonom selbst verwaltet.
Erst sehr viel später wurden einige dieser Merkmale von den „Regelschulen“ übernommen.

Was will die Waldorfschule?
Schüler sollen ihre kreativen Kräfte von Grund auf entfalten können. Anstatt mit vorwiegend vorgegebenen Formen zu arbeiten, die beispielsweise Lücken zum Ausfüllen bieten, ersetzen selbst gestaltete Epochenhefte klassische Lehrbücher.
Das Üben sozialer Kompetenzen in einer möglichst stabilen Klassengemeinschaft von Schülern unterschiedlicher Begabung ist lebensnaher als ein notenorientiertes Lernen von Schülern derselben Begabungsbandbreite. Gymnasien berauben Real- und Hauptschulen ihrer Zugpferde. Das Herauslösen leistungsschwacher Schüler aus einer Klassengemeinschaft durch Sitzenbleiben setzt einen abstrakten Leistungsgedanken vor die soziale Tragfähigkeit einer Klassengemeinschaft. Waldorfschulen bauen dagegen auf das Lernen im gegenseitigen Miteinander. Denn schneller begreifende Schüler lernen am meisten, wenn sie Gelegenheit bekommen, langsamer begreifenden Schülern etwas zu erklären. Letztere lernen auch besser, wenn sie nicht ausschließlich auf die Erklärungen des Lehrers angewiesen sind. Das gemeinsame Lösen von Aufgaben in Gruppen mit unterschiedlichen Begabungen ist eine Herausforderung des Berufslebens, auf die Schule schon vorbereiten sollte.
Was bedeutet das konkret?
Es gibt kein Sitzenbleiben
Gemeinsam durchlaufen die Schüler 12 Schuljahre. Es gibt kein Sitzenbleiben. Der Waldorflehrplan ist auf die seelischen und geistigen Veranlagungen und Begabungen der Kinder ausgerichtet. Deshalb stehen ab der ersten Klasse sachbezogene Unterrichtsbereiche gleichrangig neben den vielseitig-künstlerischen. Jedes einzelne Kind wird als Individuum betrachtet und in seinen für die Gesellschaft wichtigen schöpferischen Fähigkeiten gefördert.
Künstlerisch-handwerklicher Unterricht
Lebensnah und lebenspraktisch – Der vielfältige handwerkliche Unterricht fördert die differenzierte Ausbildung des Willens und die lebenspraktische Orientierung der Schüler.
Entwicklungsorientierter Lehrplan
Ein entscheidendes Prinzip des Waldorflehrplans liegt in der Abstimmung der Unterrichtsinhalte und Unterrichtsformen auf die Prozesse kindlichen Lernens und die Stufen menschlicher Entfaltung in Kindheit und Jugend. Der Unterricht ist von Schulbeginn an auf das Ziel innerer menschlicher Freiheit hinorientiert.
Bildhafter Unterricht
In den ersten Schuljahren, in denen die eigene Urteilskraft der Kinder erst heranreift, ist “bildhafter” Unterricht ein wesentliches Unterrichtsprinzip. Die Tatsachen werden so behandelt, dass die Schüler zusammen mit dem Anschaulichen auch das Gesetzmäßige und Wesenhafte der Dinge im Sinne echter Bilder verstehen und erleben lernen.
Wissenschaftlicher Unterricht
Dem Streben nach eigener Lebensgestaltung und Urteilsbildung vom 14. Lebensjahr an entspricht der wissenschaftliche Charakter vieler Unterrichtsfächer vom 9. bis 12. Schuljahr. Die Waldorfschulen sehen hier die pädagogische Aufgabe nicht darin, eine voruniversitäre Ausbildung zu betreiben, sondern den Unterricht inhaltlich so zu vertiefen, dass er sich mit den Lebensfragen des jungen Menschen verbinden kann und Antworten gibt.
Epochenunterricht
Ein wichtiges Mittel, um den Unterricht ökonomisch zu gestalten, ist der Epochenunterricht. Er wird in den Fächern durchgeführt, in denen Sachgebiete in sich geschlossen behandelt werden können. Dazu zählen Deutsch, Geschichte, Mathematik und die Naturwissenschaften. Gebiete, die laufender Übung bedürfen, wie künstlerischer Unterricht, Englisch, Französisch, Russisch, werden in Fachstunden erteilt, wobei auch hier manche Waldorfschulen in den letzten Jahren verstärkt Epochenunterricht durchführen. Fremdsprachen werden vom ersten Schuljahr an gelehrt.
Zeugnisse und Abschlüsse
Die Waldorfschulen haben mit der Auslese auch das übliche Zensurensystem abgeschafft. Die Zeugnisse bestehen aus möglichst detaillierten Charakterisierungen, die die Leistung, den Leistungsfortschritt, die Begabungslage, das Bemühen in den einzelnen Fächern aufzeigen. Die Schüler schließen die Schule mit der Mittleren Reife ab oder dem Abitur nach dem 13. Schuljahr.
Selbstverwaltung
Als Freie Schulen haben die Waldorfschulen die hierarchisch organisierte Außenlenkung der staatlichen Schulen durch eine freiheitliche Verfassung ersetzt. Die Selbstverwaltung erfolgt durch Eltern und Lehrer gemeinsam und stellt ein sehr zukunftsorientiertes soziales Erfahrungsfeld dar. Die pädagogische Leitung obliegt einer wöchentlichen Konferenz, an der alle Lehrer gleichberechtigt mitwirken. Das Bemühen um das Verständnis des Menschen, seiner Lebensgesetze und um Fortentwicklung der Pädagogik auf der Basis der anthroposophischen Geisteswissenschaft bildet die gemeinsame Grundlage.
Finanzierung
Ungeachtet der weltweiten fachlichen Anerkennung der Waldorfschulen und der verfassungsrechtlichen Gleichstellung der Schulen in freier Trägerschaft mit den staatlichen Schulen bedarf es dauernder Bemühungen auf politischem und administrativem Felde, dass diesem Umstand bei der Schulaufsicht und Finanzierung der Schulen entsprochen wird. Die Waldorfschulen in Deutschland erhalten staatliche Zuschüsse, die aber die Betriebskosten nur zum Teil decken. Die Elternbeiträge sind nach dem Einkommen gestaffelt.
Weitere Informationen dazu lesen Sie auf: www.waldorfschule.de
